Wie erleben Frauen – und Männer – eine unerwartete Schwangerschaft? Einige Gedanken aus systemischer Sicht

Wie erleben Frauen – und Männer – eine unerwartete Schwangerschaft, wenn dieses „unerwartet“, nachhaltig als „ungewollt“ interpretiert wird und ein eigentlicher Schwangerschaftskonflikt vorliegt.

 

Unerwartet schwanger – was heißt das?

Wenn eine Frau erfährt, schwanger zu sein, vielleicht sogar zum ersten Mal, wird sie mit einer Veränderung konfrontiert, die fast alle Bereiche ihres persönlichen Lebens tangiert: ihr Körpergefühl, ihr Selbstwertgefühl als Frau, ihr Bild von sich als Mutter, ihre Wünsche an Ausbildung und Beruf, ihr Bedürfnis nach finanzieller Sicherheit, ja, ihre gesamte Lebensplanung und nicht zuletzt ihr Verantwortungsbewusstsein, vielleicht auch ihr Glaube. Vor allem aber hat die Tatsache, schwanger zu sein, Auswirkungen auf ihr Beziehungsleben – die Beziehung zum Vater des Kindes, aber auch zu anderen nahe stehenden Menschen. Dies alles führt zu höchst unterschiedlichen Situationen. Und so kann es naturgemäß nur eine Vielfalt von Antworten geben. Und doch lassen sich einige Gedanken und Gefühle, Hoffnungen und Befürchtungen nennen, die in Gesprächen mit Frauen und deren Partnern angesichts einer unerwarteten Schwangerschaft immer wieder artikuliert werden.

Unerwartet schwanger – das kann bedeuten, dass nach vielleicht langen Jahren des unerfüllten Kinderwunsches und vielleicht gerade zu einem Zeitpunkt, da das Paar schon resigniert hatte, sich doch noch eine Schwangerschaft einstellt. Die Nachricht kann ein Paar mit großer Freude erfüllen, die auch dann das tragende Gefühl bleiben mag, wenn immer mal wieder Ängste vor der neuen Aufgabe aufsteigen. Gerade in der frühen Phase der Schwangerschaft liegen Hoffnungen und Befürchtungen ja oft nah beieinander. Als unerwartet kann eine Schwangerschaft aber auch dann empfunden werden, wenn nicht nur eine Offenheit für ein Kind da ist, sondern die Vernunft einem Paar eigentlich hätte sagen müssen, dass es jetzt jederzeit so weit sein kann. Vielleicht ist es gut, dass trotz aller Möglichkeiten der Planung auch für Menschen unserer Zivilisation Schwangerschaft meist noch ein Moment des Überraschenden hat – ein Geschenk ist.

Auch „negative Gefühle“ zulassen

Noch deutlicher aber wird eine Schwangerschaft als unerwartet erfahren, wenn ein Paar bewusst vermeiden wollte – jedenfalls zu diesem Zeitpunkt –, ein Kind zu bekommen, und die Frau dennoch schwanger wird. Hier können zunächst Gefühle der Abwehr alle anderen Gefühle übertönen. Und doch muss es nicht zu dem kommen, was man den existentiellen Schwangerschaftskonflikt nennt, der im heutigen gesellschaftlichen Kontext als Entscheidungskonflikt erlebt wird. Denn eine Schwangerschaft nicht angestrebt zu haben, heißt noch lange nicht, dieses Kind nicht annehmen zu wollen oder zu können. Die schwangere Frau und der Vater des Kindes sollten sich selbst und einander Zeit einräumen für diese Annahme, sie sollten sich selbst und einander zugestehen, „negative“ Gefühle verarbeiten zu müssen. Welche Bedeutung dabei oft den beiden Herkunftsfamilien und dem weiteren Umfeld zukommen, möchte ich im Folgenden zum Thema machen.
Dies lässt sich am besten im Zusammenhang mit der Frage thematisieren, wie Frauen – und Männer – eine unerwartete Schwangerschaft dann erleben, wenn dieses „unerwartet“, nachhaltig als „ungewollt“ interpretiert wird und ein eigentlicher Schwangerschaftskonflikt vorliegt. In den letzten 10 Jahren ist mir immer deutlicher geworden, wie hilfreich es in der Begegnung mit schwangeren Frauen und deren Partnern sein kann, einen Schwangerschaftskonflikt als Loyalitätskonflikt zu verstehen.

Wen wollen wir schonen?

Allzu schnell sind wir geneigt, wenn bei einer Frau, einem Paar der Gedanke auftaucht: „Ich kann, wir können das Kind nicht bekommen“, unser Augenmerk auf das zu lenken, was diese Frau, dieses Paar für sich selbst erreichen oder aufrechterhalten möchte. In Beratungsgesprächen hat es sich aber immer wieder als weiterführend erwiesen, wenn auch die Frage gestellt wird, wen die Frau oder der Mann jetzt schonen möchte, wem zuliebe sie oder er denkt, dass jetzt kein Kind kommen darf. Es ist eine der zentralen Einsichten der systemischen Familientherapie, dass wir Menschen in unserem Verhalten maßgeblich auch von der – bewussten oder unbewussten – Vorstellung bestimmt sind, welche Auswirkungen unser Verhalten auf die Menschen haben wird, mit denen wir zutiefst verbunden sind. Wir möchten ihre Erwartungen und Aufträge erfüllen, ihnen gegenüber loyal sein – oft auch da, wo wir mit unserem Verhalten faktisch das Gegenteil erreichen.

Unser Glaube kann uns entlasten

Da ist zum einen das Kind selbst, dessen zukünftiges Leben in den Blick genommen wird. Hätte nicht mit dem Wissen um die Schwangerschaft eine Loyalität zu diesem Kind begonnen, so könnte man gar nicht von einem wirklichen Konflikt sprechen. Gerade weil sie ihrem Kind eine gute Zukunft wünschen, glauben manche Eltern, es nicht verantworten zu können, ihm die Lebensbedingungen zuzumuten, die sie voraussehen oder befürchten. – Es wird ausdrücklich von Eltern gesprochen. Denn auch Väter stellen sich heute zunehmend die Frage, ob vor allem ihre berufliche Situation – sei es Arbeitslosigkeit, sei es z. B. die große Mobilität, die oft von ihnen erwartet wird bei gleichzeitiger Unsicherheit des Arbeitsplatzes – ihnen überhaupt erlauben wird, sich in der Weise für ihr Kind zu engagieren, wie sie es für nötig halten. Beide Partner fragen sich nicht selten, ob ihre Beziehung tragfähig genug ist für eine gute Elternschaft, wobei nicht zu übersehen ist, dass beide Partner oft sehr unterschiedlich auf die ungewollte Schwangerschaft reagieren und gerade das den schmerzlichen Konflikt ausmachen kann. Die Möglichkeit der Familienplanung und die hohen Erwartungen an Elternschaft haben inzwischen zu einem Verantwortungsdruck geführt, der – man möchte sagen: tragischerweise – auch kontraproduktive Schuldgefühle auslösen kann. Wie hilfreich können da christlicher Glaube und christliche Spiritualität erfahren werden: es ist nicht nur die klare ethische Orientierung an der Würde und dem Lebensrecht eines jeden ungeborenen Kindes, sondern vor allem auch der entlastende Gedanke, dass Gott selbst die „Letztverantwortung“ für jedes menschliche Leben übernommen hat; dass er es ist, der Sorge trägt für unsere Sehnsucht nach Lebensfülle.

Welche Rolle spielen die eigenen Eltern

Häufiger, als man es bei erwachsenen Frauen und Männern erwarten mag, kann bei einem Schwangerschaftskonflikt der Gedanke in den Vordergrund rücken, was die Geburt dieses Kindes für die eigenen Eltern bedeuten wird. Die meisten Eltern haben heutzutage den Wunsch, dass ihre Töchter und Söhne sich Zeit nehmen für eine gute Ausbildung; dass sie einen sicheren Arbeitsplatz gewinnen und dort vielleicht höher aufsteigen, als es ihnen selbst vergönnt war. Dies alles kann durch die Geburt eines Kindes gefährdet werden. Viele schwangere Frauen, und nicht selten ihre Partner, möchten den „Auftrag“ der Eltern erfüllen. Erst recht möchte manche Tochter ihren Eltern nicht zumuten, ein Leben als allein erziehende Mutter zu beginnen, zudem unter oft schwierigsten finanziellen Bedingungen. Da in kirchlichen Kontexten nicht selten der Kontakt mit der mittleren Generation besonders ausgeprägt ist, besteht eine gute Chance, Menschen dieser Generation noch stärker zu sensibilisieren: Für die jüngere Generation ist es wichtig, von ihren Eltern das Signal zu bekommen, dass es bei aller Sorge um ein geordnetes berufliches und familiäres Leben Fragen gibt, die noch elementarer und wichtiger sind für das Heil und deshalb letztlich auch für das Glück des Menschen. Gerade der christliche Glaube könnte ja eine Basis dafür abgeben, auch mit nicht so glatt verlaufenden Lebenswegen versöhnlich umzugehen. Auch in unserer Kultur wünschen sich immer noch die meisten Menschen, mit der Geburt ihres Kindes bei den eigenen Eltern Freude auszulösen. Natürlich kann es auch darum gehen, da, wo ein Kind unter besonderen Belastungen aufwachsen muss, durch konkrete Hilfe zur Seite zu stehen; die Bereitschaft dazu ist ja ohnehin bei der älteren Generation in Deutschland immer noch recht groß.

Konflikte können gelöst werden

Was die jüngere Generation selbst angeht, so kann das Gespräch über ein solches generationenübergreifendes Thema helfen zu verstehen, dass auch solche Loyalitätskonflikte in entwicklungsfördernder Weise gelöst werden können.
Es sollte nicht zu schnell die Vermutung ausgesprochen werden, dass die (ungewollt) schwangere Frau von ihrem Umfeld sträflich allein gelassen wird – auch wenn es dies leider ebenfalls gibt. Einerseits gilt es zu berücksichtigen, welche Sorgen und Befürchtungen die ältere Generation und andere nahe stehende Personen leiten, und andererseits zu verstehen, dass es nicht selten die schwangere Frau selbst ist, die Menschen, die sie liebt, schonen möchte. Dies gilt auch für die Beziehung der schwangeren Frau zum Vater des Kindes. Auch hier kann es sein, dass sie zutiefst überzeugt ist, dass ihr Partner – aus welchen Gründen auch immer – sich mit der Verantwortung für ein Kind zu diesem Zeitpunkt überfordert fühlen würde. Viele Frauen bangen in dieser Situation um die Zukunft ihrer Beziehung zum Partner. Umso wichtiger ist es, dass alle Bildungsmöglichkeiten in unserer Kultur – Elternhaus, Schule, Gemeinde und andere Orte – genutzt werden, um den heranwachsenden Männern deutlich zu machen, welche Schlüsselrolle sie in der Situation einer ungewollten Schwangerschaft haben und wie viel sie dazu beitragen können, daraus eine Geschichte der „guten Hoffnung“ werden zu lassen. Das setzt allerdings voraus, dass die Männer mit ihren eigenen Fragen und Ängsten ernst genommen werden. Für beide Eltern kann in bestimmten Belastungssituationen auch die Sorge um die schon geborenen Kinder das drängendste Thema werden. Wenn sich dieser Beitrag im Blick auf eine ungewollte Schwangerschaft auf den Aspekt des Loyalitätskonflikts konzentriert, so zunächst deshalb, weil dieses Verständnis des Schwangerschaftskonflikts dem beraterischen Gespräch besondere Chancen eröffnet. Damit sollen keineswegs die vielen anderen Faktoren, die bei einem solchen Konflikt eine Rolle spielen können, übersehen werden. Insbesondere die Verbesserung der Rahmenbedingungen für ein Leben mit Kindern bleibt zweifellos immer noch eine große gesellschaftliche Aufgabe

Bei dem Bemühen, die existentiellen Fragen der Einstellung zu ungeborenen Kindern mit dem christlichen Menschenbild in Verbindung zu bringen, ist es wohl angemessen, erst einmal dem nachzuspüren, was Menschen an Sorge umeinander verbindet – nicht, weil dies die einzige Motivation von Menschen wäre, sondern weil die Betroffenen dies oft als Kostbares ihrer eigenen Identität erleben. Sie darauf anzusprechen, heißt, sie auf ihre Liebesfähigkeit ansprechen, ihre Fähigkeit, Schutz zu geben. Das kann sie ermutigen, auch in schweren Konflikten auf ihre Ressourcen zu vertrauen.

Christa Pesch